Doppelte Standards bei der Regulierung von Geschäften mit ausländischen Investoren
Die Jagd auf den „internationalen Investor“ geht weiter.
In Russland befinden sich ausländische Investoren in einer äußerst verletzlichen Lage: mit einem unklaren Rechtsstatus ihrer Vermögenswerte und ohne Zugang zu Finanzinstrumenten stehen sie unter Druck – nicht nur von russischer Seite, sondern auch von innen, seitens der EU.
Vor diesem Hintergrund wird Russlands Taktik zur „Bindung“ europäischer Investoren an den russischen Markt immer deutlicher – sie gelten als neue Devisenquelle für die russische Wirtschaft. Einerseits werden Mechanismen geschaffen, um ausländisches Kapital im Land zu halten, andererseits werden Beschränkungen eingeführt, die sowohl den Rückzug aus Unternehmen und vom russischen Markt als auch eine Rückkehr erheblich erschweren. Nach neuen Regelungen darf ein ausländisches Unternehmen nur dann zurückkehren, wenn es einen Abschlag von bis zu 50 % vom Marktwert an den russischen Staatshaushalt zahlt und eine Reihe von Bedingungen erfüllt – vom Erhalt von Arbeitsplätzen bis zur „freiwilligen Lokalisierung“.
Die russische Regierung reguliert die Präsenz ausländischer Investoren mit kreativen Methoden. So wurden beispielsweise spezielle „Typ-I-Konten“ für Transaktionen mit russischen Vermögenswerten eingeführt. Gleichzeitig werden beim Verkauf von Unternehmen höhere Abschläge erzwungen und Pflichtabgaben in den Staatshaushalt erhöht, die zusammen bis zu 95 % des Marktwerts der Vermögenswerte betragen können. Auch der Rückkauf eigener Aktien wurde eingeschränkt. Laut einem Vorschlag des russischen Wirtschaftsministeriums kann eine öffentliche Erklärung eines ausländischen Investors, den russischen Markt aus politischen Gründen zu verlassen, als Grundlage für eine Verweigerung des späteren Rückkaufs der Vermögenswerte dienen.
Diese Maßnahmen schaffen ein ungünstiges Geschäftsklima für ausländische Investoren in Russland. Einerseits erschweren die Restriktionen den Verkauf von Geschäftsanteilen zu akzeptablen Bedingungen, und Unternehmen mit ausländischer Beteiligung laufen Gefahr, nationalisiert zu werden – womit der Investor die Kontrolle vollständig verlieren kann. Andererseits drohen erhebliche Reputationsverluste auf internationalen Märkten. Unternehmen und Privatpersonen aus der EU können seit März 2024 nicht an dem eingeführten Austauschprogramm für blockierte Vermögenswerte zwischen russischen und ausländischen Investoren teilnehmen, da der Nationale Abwicklungsdepot (NSD) beteiligt ist. Bereits im Frühjahr 2022 hatten Euroclear und Clearstream wegen des Krieges ihre Zusammenarbeit mit dem NSD eingestellt und sowohl russische als auch ausländische Vermögenswerte eingefroren. Aus diesem Grund sind seit Februar 2022 keine Erträge aus den Aktien ausländischer Unternehmen mehr an russische Investoren geflossen.
Strategische Vermögenswerte ausländischer Investoren in Russland in Gefahr: Wer wird der Nächste auf der Liste der Nationalisierung?
Dass Russland das Eigentum an strategischen Vermögenswerten neu bewertet, zeigt der Fall des internationalen Investors Jewgeni Skigin. Die russische Generalstaatsanwaltschaft erhob Klage auf Einziehung von 55 % der Aktien des größten Hafeninfrastrukturunternehmens Russlands – der „Petersburger Ölterminal AG“ (POT), von denen 50 % der Familie Skigin gehörten.
Der Fall der POT demonstriert die Risiken für ausländische Investoren beim Führen großer Unternehmen in Russland. Den russischen Markt zu verlassen oder Geschäftsanteile an russischen Unternehmen – insbesondere mit Staatsbeteiligung – zu verkaufen, ist nahezu unmöglich.
Im April dieses Jahres gab das Schiedsgericht von Sankt Petersburg und der Oblast Leningrad der Klage der Generalstaatsanwaltschaft statt und ordnete die Übertragung von 4.538 Aktien der PNT AG, die der Familie Skigin über die Tujunga Enterprises Ltd. gehörten, an den russischen Staat an. Der Fall erregte internationales Medieninteresse, da die internationale juristische Gemeinschaft viele rechtlich fragwürdige Aspekte in der Entscheidung erkannte.
Doch die Widersprüchlichkeit des russischen Rechtssystems endete hier nicht. Am 8. Juli 2025 hob das Dreizehnte Schiedsberufungsgericht das frühere Urteil teilweise auf und entschied, 2.807 Aktien an Tujunga Enterprises zurückzugeben.
Bemerkenswert ist, dass dieses Urteil zeitgleich mit der Einführung eines vereinfachten Verfahrens für Auslandsinvestitionen in Russland erfolgte (Dekret Nr. 436 des Präsidenten der Russischen Föderation vom 01.07.2025 „Über zusätzliche Garantien für die Rechte ausländischer Investoren“ https://www.garant.ru/products/ipo/prime/doc/412165526/#review).
Dieser Schritt zeigt, dass Russland dringend neue Investitionen benötigt, um das Ziel zu erreichen, bis 2030 zwei Drittel des BIP durch Marktkapitalisierung abzudecken. Ohne externes Kapital ist das jedoch kaum erreichbar, da russische Investoren ihr Geld vor allem in Immobilien oder Einlagen anlegen. Die einzigen verbleibenden Kapitalgeber sind die ausländischen Aktionäre – die um jeden Preis im Land gehalten werden sollen, notfalls durch Konfiszierung.
Nationalisierung in Russland: Die neue „Sprache“ im Umgang mit ausländischen Investoren
Jewgeni Skigin, Sohn von Dmitri Skigin, einem der Gründer der POT AG, erbte zusammen mit seinem Bruder Michail und seiner Schwester Polina 50 % der Terminalaktien. Das Eigentum wurde über zypriotische Unternehmen wie „Tujunga Enterprises Ltd.“, „Almont Holding Ltd.“ und „Novomor Ltd.“ gehalten. In diesen Jahren existierte noch kein Gesetz über Auslandsinvestitionen. Erst 2008 wurde das Föderale Gesetz Nr. 57-FZ vom 29. April 2008 verabschiedet, das Investitionen in strategische Wirtschaftsunternehmen regelte.
POT erhielt den Status eines strategischen Objekts nach Modernisierungsmaßnahmen – auf Initiative der ausländischen Investoren selbst. Daher müssen alle Transaktionen zur Kontrolle solcher Unternehmen von der Föderalen Antimonopolbehörde (FAS) und einer Regierungskommission genehmigt werden. Ohne diese Genehmigung gelten Transaktionen als ungültig.
Die Skigin-Familie erwarb die Aktien rechtmäßig, da sie die Kontrolle bereits 2003 übernahm, als das Gesetz noch nicht existierte.
Die Anwendung des Gesetzes von 2008 auf die Transaktion von 2003 ist daher offensichtlich unzulässig, da das Gesetz erst für Kontrollerwerbungen ab Mai 2008 gilt.
Dennoch begann die Generalstaatsanwaltschaft eine regelrechte Kampagne, um den 55 %-Anteil an POT (davon 50 % der Skigin-Familie und 5 % der Mitaktionärin Elena Wassiljewa) zu konfiszieren.
Die Interessen des Staates sind klar: POT ist der größte Hafenumschlagsbetrieb in Sankt Petersburg und das bedeutendste russische Terminal für Ölprodukte in der Ostseeregion. Seit 2000 ist das Unternehmen Teil der Liste natürlicher Monopole.
Die Behörden behaupteten, dass die Skigins nach 2008 gruppeninterne Umstrukturierungen ohne Genehmigung durchgeführt hätten, um die Anteile bei der Tujunga Enterprises Ltd. zu bündeln.
Das Unternehmen sowie die Skigins argumentierten jedoch, dass das Gesetz ausschließlich Transaktionen zur Erlangung von Kontrolle regelt – und diese sei bereits 2003 rechtmäßig erfolgt. In diesem Fall sei die Kontrolle gesetzlich etabliert und erfordere keine weitere Genehmigung. Zudem seien gruppeninterne Übertragungen unter einem einheitlichen Eigentümer ausdrücklich genehmigungsfrei, wie Artikel 4 Absatz 4 des Investitionsgesetzes klarstellt.
Die Behörden lehnten jedoch diese Auslegung ab und verlangten die Anerkennung der Transaktionen als nichtig, obwohl sie anerkannten, dass die Skigins ursprünglich rechtmäßig Kontrolle erlangt hatten.
Investitions-Sackgasse: Wenn der Ausstieg teurer wird als der Einstieg
Große Unternehmen geraten in Russland zunehmend ins Visier des Staates.
Seit 2022 beläuft sich das Vermögen, das beschlagnahmt oder staatlich verwaltet wird, auf 3,9 Billionen Rubel. Eigentum ausländischer Unternehmen, das eigentlich durch internationale Investitionsschutzabkommen geschützt ist, wurde per Sonderdekreten des russischen Präsidenten der Behörde Rosimuschestwo zur „vorübergehenden Verwaltung“ übergeben. (Quelle: Kommersant https://www.kommersant.ru/doc/7872248)
Rechtliche Grundlage für die Einziehung ist regelmäßig die Beteiligung ausländischer Investoren an strategischen Unternehmen ohne erforderliche Genehmigung.
Die Teil-Enteignung der POT-Aktien stellt einen wichtigen Präzedenzfall dar – nicht nur für die Skigin-Familie, sondern auch für viele andere Aktionäre in Russland.
Wenn der russische Staat selbst zur Gegenpartei wird, verlieren rechtliche Schutzmechanismen ihre Wirksamkeit. Das Schiedsgericht von Sankt Petersburg nationalisierte die Aktien des POT und formulierte damit neue rechtliche Ansätze, die das bisherige System der Anfechtung von Geschäften grundlegend veränderten.
Dieses Urteil betrifft nicht nur einen einzelnen Investor, sondern setzt einen gefährlichen Präzedenzfall, der die gesamte Struktur des Eigentumsschutzes in Russland beeinflussen könnte. Die aktuellen Veränderungen im russischen Rechtssystem werden voraussichtlich erhebliche Auswirkungen auf das Muster ausländischer Investitionen haben. Denn globales Kapital orientiert sich weiterhin an klaren Kriterien wie Rechtssicherheit, Unabhängigkeit der Gerichte, garantierter Eigentumsschutz und fehlende Interessenkonflikte. Da die gegenwärtige russische Gerichtspraxis all diese Kriterien verletzt, ist weder an eine Normalisierung der Beziehungen mit ausländischen Investoren noch an eine Rückkehr solcher Investoren zu denken.